„...IS WATCHING YOU“ von Friedel Kantaut
Friedel Kantaut ist bildender Künstler, Autor, Organisator und Musiker. Er wurde 1954 in Osnabrück geboren. Nach einigen Jahren als Theaterfotograf am Stadttheater Hildesheim kehrte er 1983 nach Osnabrück zurück und gründete 1985 zusammen mit Uwe Möllhusen die Produzentengalerie „Messer". In Osnabrück betätigte er sich seit 1987 an verschiedenen Projekten, u.a. auch an dem Projektes „Kunst in der Stadt". Heute lebt und arbeitet F. Kantaut sowohl in Berlin als auch in seiner Heimatstadt Osnabrück.
Nach jahrelangem ausschließlichen Arbeiten mit dem Medium der Schwarzweiß-Fotografie wandte sich F. Kantaut – ausgehend vom Kolorieren seiner Fotos – der Malerei und der Farbigkeit zu. Seine Werke gehen dabei jedoch über den Kernbereich der herkömmlichen bildenden Kunst weit hinaus: Foto, Film, Neue Medien, Fotokopien, Grafik und Design, Drucktechnik, Malerei, Objektkunst, Konzerte sowie Performance bilden das umfangreiche Feld F. Kantauts künstlerischen Tätigkeit. Viele seiner Werke sind durch die in ihnen angesprochene Thematik miteinander verbunden: F. Kantauts Arbeiten beschäftigen sich vor allem mit der von Kommunikationssystemen beherrschten Welt sowie mit den daraus resultierenden Veränderungen der Gesellschaft. Hierbei greift er immer wieder Themengebiete wie die Einsamkeit des Menschen, den Verlust von Würde und das leere, konsumorientierte Individuum Mensch auf.
Trotz der ernsten Thematik hat F. Kantauts Schaffen wenig mit Schwarzmalerei und desillusionierender Resignation zu tun. Ziel seiner Arbeit ist es vielmehr, Denk- und Handlungsangebote aufzuzeigen und damit die Selbstanalyse oder Identitätsfindung anzuregen. Er selbst sagt dazu, dass die
"Kunst der Gegenwart alternierende Antworten auf Fragestellungen unserer Gesellschaft
anbieten [muss]. Kunst hat eine Verantwortung nicht nur für Insidergruppen, sondern für die
gesamte Gesellschaft, sie muss heraus aus den Ghettos der Galerien und Vernissagen“
(Friedel Kantaut in: Stadtblatt 1/88)
Im
Rahmen der Maßnahme "Kunst in der Stadt" (KIDS) hat Kantaut zu
Beginn der 90er Jahre einige Projekte im öffentlichen Raum
realisiert, darunter sein großes Wandbild „... IS WATCHING YOU“
(1993). Bei KIDS handelt es sich um ein Projekt kultureller
Sozialarbeit welches 1984-89 in Osnabrück umgesetzt wurde: Mithilfe
der Unterstützung der Bundesanstalt für Arbeit, der Stadt Osnabrück
und zahlreicher Sponsoren wurde unter diesem Namen eine Art
Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Osnabrücker Künstler ins Leben
gerufen – und erinnert damit z. B. an das Federal Art Project
Mitte der 30er Jahre in den Vereinigten Staaten. Aufgabe und Ziel von
„Kunst in der Stadt“ war es jedoch nicht nur, den teilnehmenden
Künstler Schaffensprozesse zu ermöglichen und ihre Lage zu
verbessern: Die Gründer des Projekts vertraten die Meinung,
dass
KIDS nicht
nur den Künstlern, sondern der ganzen Stadt zugute kommen würde: Im
Rahmen der
Gestaltung öffentlicher Kommunikations- räume mit den Mitteln der
Kunst sollte
ein neuen innovativer Kulturbegriff durchgesetzt werden, der die
sozial-integrative und kommunikative Funktion der Kunst mit Begriffen
wie „Transparenz“, „Bürgernähe“ und „Kultur für alle“
definierte.
Im
Rahmen von KIDS wurden zahlreiche Projekte verwirklicht und insgesamt
28 KünstlerInnen in ihren Arbeiten gefördert. 1986 lud die Thomas-Morus-Schule fünf Künstler dazu ein,
u. a. F. Kantaut, auf dem Schulgelände Bilder zu malen und mit den
Schülern über die entstehenden kreativen Prozesse zu sprechen. Als
Thema wurde die Darstellung von Tieren gewählt.
Da
sich F. Kantaut inhaltlich immer mit dem Menschen als Individuum
beschäftigt hat, fiel die Motivwahl auf den Menschenaffen.
Durch
eine Dokumentation über die Arbeit von Dian Fossey über ihre Arbeit
mit Gorillas ist er auf eine Reihe von Portraits gestoßen. (Dian
Fossey war eine US-amerikanische Zoologin und Verhaltensforscherin
und sie untersuchte das Verhaltan von Berggorillas in Ruanda – Die
Dokumentation ist von 1988 und heißt „Gorillas im Nebel“ mit
Sigourney Weaver als Hauptdarstellerin)
Aus
dieser Bildersammlung ist eine weitere Arbeit („Bedrohte“)
entstanden.
Als
F. Kantaut sich die Portraits noch einmal angesehen hat wählte er
das Foto aus, das ihm mimisch die am leichtesten zu interpretierende
Geschichte schien, und machte es zur Grundlage dieser Arbeit.
Das
gesamte Wandbild ist 3,50m x 2,50m groß und hat damals ca. 5000 DM
gekostet. Es ist auf Holz montiert und mit 8 Schichten Lack gegen
schädliche Witterungseinflüsse und Abgase imprägniert.
Erstmals
wurde das Bild 1993 angebracht, und 1996 mit neuen Graffiti eines
anderen Künstlers versehen.
Außerdem
gab es anfangs eine Zeichensprache unten rechts, aus Symbolen des Ji Ging.
F.
Kantaut beschäftigt sich viel mit Typografie, Zeichen, Symbolen im
Alltag, Piktogrammen, Tags usw., und auch dieses Gorilla Portrait
wollte er mit einer Zeichensprache verbinden.
Die
pessimistische Mimik des Affen wurde mit dem Zeichen versehen, das
für die Unruhe in unserer Zeit steht.
Die
Funkuhr soll das Zeichen durch die sich verändernden Ziffern
unterstützen, so zu sagen: „Der Gorilla beobachtet dich, wenn du
durch den öffentlichen Raum hetzt, und deine Zeit wird gezählt.“
Auf
der linken Seite des Wandbildes ist ein Graffiti zu sehen. Dies wurde
integriert, weil sich Sprayer den öffentlichen Raum aneignen, den
auch das Wandbild beansprucht. Um den Konflikt aufzulösen, kommt
F.K. dieser Aneignung durch willkürliche Tags zuvor, indem er selbst
auf dem Bild einen Raum für ein Graffiti eingeplant hat.
Er
experimentiert so mit der Möglichkeit, den öffentlichen Raum mit
Respekt zu teilen.
Bei
der Wahl des Standortes war wichtig, dass ein Dialog zwischen dem
Wandobjekt und der Umgebung stattfindet. Das Objekt soll als
Kommentar zur Ruhelosigkeit dieses Ortes, also einem mehrspurigen
Innenstadtring, funktionieren.
Die
Digitaluhr und die Zeichensprache sollen die Symbolik des
Gorillagesichts in unseres Alltag transportieren. Zusammen sollen sie
den Ort mit den anwesenden Menschen von einem angenommenen externen
Betrachtungspunkt aus kommentieren.
Interpretationsansätze
des Künstlers:
„Der
Mensch als Versuchskaninchen und der Affe als sein Beobachter.“
„Wir
werden mit fremden Augen gesehen – Ein Kommentar zur Rush Hour –
Autochaos zur allgemeinen menschlichen Verfremdung und Isolation.“
Der
Künstler wünscht sich einen Nebeneffekt: „Die Autofahrer, die in
der Nähe der Uhr im Stau stehen und von dem „weisen Affen“
angesehen werden, sollen sich ärgern.“
Unter
diesem Gesichtspunkt lässt sich die Frage formulieren, ob es sich
bei diesem Kunstwerk auch um ein Denkmal handeln könnte. Unter einem
Denkmal versteht man im herkömmlichen Sinne zunächst einmal eine
meist plastische Darstellung zum Gedächtnis an eine Person oder ein
Ereignis. Weiterführend kann man ein Denkmal aber auch als ein "Zeugnis der kulturellen Entwicklung der Menschheit" (Lexikon der Kunst, S. 121) verstehen. In diesem Rahmen wird ein Denkmal zu einem Teil der
Erinnerungskultur einer Gesellschaft.
Beziehen
wir uns zurück auf die Interpretation vom Künstler selbst und sein
Anliegen die gehetzte Gesellschaft von heute anzusprechen, kann dies
ganz klar als Zeugnis der heutigen Gesellschaft verstanden werden.
Das Kunstwerk ist 1996 entstanden und geht mit einer zunehmenden
Medialisierung in der Gesellschaft einher. Der Affe blickt uns durch
einen Computer, bzw. einen Fernseher an, der die mediale Entwicklung
unserer Zeit vermitteln könnte. Kann dies ein Verweis darauf sein,
dass Fernseher und Internet einen großen Teil unserer Eindrücke von
der Gesellschaft bestimmt, in der wir uns befinden?
Neben
anderen Faktoren verweist auch der Standort des Objektes auf die
Schnelllebigkeit und Unruhe, von der wir zunehmend geprägt zu sein
scheinen. Schaut man sich den Gorilla in einigen Jahren erneut an,
lässt sich mit seiner Hilfe der Zwiespalt und die Diskussion
nachvollziehen, in der sich die Menschen heute befinden, nämlich die
Diskussion um die schwindende Zeit im Alltag und die scheinbar damit
zusammenhängende, wachsende Unzufriedenheit. Die ins Kunstwerk
integrierte Digitaluhr untermalt diese Dominanz der Zeit in der
heutigen Gesellschaft. Mit großen roten Ziffern strahlt sie dem
vorbeifahrenden Autofahrer unweigerlich ins Gesicht und trägt damit
dazu bei, dem Menschen die verrinnende Zeit in einem Moment des
unfreiwilligen Wartens vor Augen zu führen.
Die
angezeigte Uhrzeit als Teil des Denkmals setzt sich kritisch mit der
heutigen Situation auseinander und kann uns dies nicht nur vor Augen
führen sondern zudem den kommenden Generationen rückblickend
Einblicke verschaffen.
Unter
den angeführten Aspekten ist es besonders bedauerlich, dass sich das
Kunstwerk in einem ungepflegten Zustand befindet und die Digitaluhr
nicht mehr funktioniert. Hierbei stellt sich die Frage, ob das
Kunstwerk ohne die Uhr noch funktionieren kann und insbesondere, ob
es von späteren Generationen überhaupt noch verstanden werden kann
oder damit den Charakter eines Denkmals verliert. Es ist kritisch zu
betrachten, in wie weit die Stadt Osnabrück Gelder zum Zwecke der
Denkmalpflege einsetzt und gleichzeitig öffentliche Kunstwerke
vernachlässigt. Vor allem auch, weil diese unter anderen, weniger
offensichtlichen Gesichtspunkten ebenso als Denkmal verstanden werden
können.
Johanna Cast, Andrea Siebert
Quellenverzeichnis:
- Lexikon der Kunst: Architektur, bildende Kunst, angewandte Kunst, Industrieformgestaltung, Kunsttheorie. Band 2: Cin-Gree.2. unveränd. Aufl. Leipzig: Seemann, 2004.
- Stadtblatt Osnabrück 1/88
- http://www.chronosroma.eu/os/kantaut.htm
- http://www.chronosroma.eu/os/stadtgalerie/p1996/kantaut/vorwort.htm
- http://osnabrueckkultur.wordpress.com/2012/10/19/die-entstehung-des-wandbildes-is-watching-you/
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